Seit mehr als zehn Jahren machen in schöner Regelmäßigkeit Gerüchte vom unmittelbaren Markteintritt der Chinesen in Europa die Runde. Bloß: Geworden ist bis heute nichts daraus. Und seit den Bildern eines verheerenden Crashtests, als ein China-Geländewagen zerbröselte wie ein mürbes Lebkuchenhaus, wurde es überhaupt ziemlich ruhig. Aber jetzt ist es tatsächlich soweit.
Der chinesische Hersteller Geely, seit 2010 Eigentümer von Volvo, bereitet offensichtlich eine globale Marktoffensive vor und hat nun sein erstes Modell präsentiert, das ab Ende 2018 auch in Europa auf den Markt kommen soll und technisch auf dem großem SUV der Schweden, dem XC90, basiert.
Auf den Markt bringt Geely den 4,5 Meter langen Crossover namens 01 unter dem neuen Markennamen Lynk & Co. Für das Design zeichnet ein internationales Team aus den Geely-Studios in Shanghai, Barcelona und Los Angeles unter der Anleitung von Chefstylist Peter Horbury verantwortlich. Alle 01 werden mit einem großen, zentralen Touchscreen ausgestattet sein, der Wagen soll mit seiner eigenen Cloud ständig online sein. Was die Software angeht, scheint man bei den Chinesen offen für Input von außen: Bei der Entwicklung des Infotainmentsystems haben sie unter anderem mit Microsoft, Alibaba und Ericsson zusammengearbeitet, es ist aber auch offen für außenstehende Programmierer. Das dürfte spannend werden …
Bei den Motoren soll es Drei-und Vierzylinderbenziner geben, die mit einem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe kombiniert werden oder als Handschalterversion zu haben sind. Alle Modelle sollen auch mit elektrifizierten Antriebssträngen zu haben sein. Eine reine Elektroversion ist geplant, von einem Diesel fiel in der Präsentation kein Wort.
Neben der Plattform kann sich die neue Marke auch bei den Sicherheitsfeatures beim alten Hasen Volvo bedienen: Das dürfte nicht nur für fünf Sterne im Euro-NCAP-Crashtest bürgen, sondern hat auch noch Notbremsassistenz, Fußgängererkennung, Abstandstempomat, Toter-Winkel-, Auffahr- und Spurverlassens-Warner im Schlepptau.
Dem 01 werden zumindest ein 02 und ein 03 folgen – die simplen Modellnamen sollen die Idee der Marke unterstreichen, die Dinge zu vereinfachen: Bei Lynk & Co wird es keine ellenlangen Ausstattungslisten mehr geben, die durch den hohen Individualiserungsgrad die Produktionskosten erhöhen, sondern eine knappe Auswahl an gut ausgestatteten Modellen zum Fixpreis. Alleine deshalb könnte der Preis des 01 durchaus heiß sein.
Und mehr noch: Lynk & Co will den unabhängigen Händler als Glied in der Kette zwischen Kunden und Hersteller weitestgehend ausschalten. Die Autos sollen online verkauft und an eigenen Standorten unters Volk gebracht werden. Die Fahrzeuge werden dem Kunden direkt zugestellt und fürs Service vor der Haustüre wieder abgeholt. Neben dem traditionellen Kauf oder Leasing soll man sich den 01 mit einem Sharing-Vertrag auch teilen können.
Der zehntgrößte chinesische Autobauer konnte bei seinem globalen Erstlingswerk freilich Produktionstechnologie von Volvo nutzen und auch in anderen Bereichen auf das Know-how der nunmehr wieder erfolgreichen schwedischen Marke zurückgreifen. Zudem gibt es bei Geely selbst Manager, die wissen, wie außerhalb von China der Hase läuft. Wie zum Beispiel Vice President Alain Visser, der zuvor den Vertrieb von Opel und Volvo führte. Oder Board-Mitglied Carl Peter Forster, der frühere BMW- und Opel-Manager, der auch die seit 2012 im Besitz von Geely stehende London Taxi Company führt.
In Russland und in der Türkei ist Geely bereits vertreten, die Europazentrale soll in Göteborg entstehen. In Österreich wird mit Denzel ein Importpartner Gewehr bei Fuß stehen. Vorstand Hansjörg Mayr: "Geely ist wie Great Wall und Byd ein ernsthafter Hersteller und schon sehr weit. Wir schauen uns die Entwicklung seit Jahren sehr genau an und sind natürlich interessiert."
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