Alfa Romeo 4c
Italo-Supersport: Alfa 4c
Sie werden Dich kommen hören ...
.. und sie werden ihn dir wegnehmen. Den Führerschein nämlich. Stetes zu schnell fahren ist allerdings nicht das einzig faszinierende am neuen Alfa 4c
von Franz J. Sauer
Es hat eine gewisse Schwere wenn Alfa Romeo einen neuen Supersportwagen vorstellt. Viele aufregende Sportfahrzeuge entstanden in den letzten 113 Jahren der „Aktiengesellschaft Lombardische Automobilfabrik“, ital. „Anonima Lombarda Fabricca Automobili“, abgekürzt A.L.F.A (erst ab 1915, als der Rüstungsindustrielle Nicola Romeo die Firma übernahm, kam der zweite Teil des Doppelnamens hinzu, nun ist’s aber genug mit dem nützlichen Millionenshow-Wissen). Vor allem der Tipo 33 Stradale von 1968 wird als Verwandtschaft in direkter Linie genannt. Mit Retro will das neue Flagg-Speedboot der Marke allerdings nichts am Hut haben.
Die zitierten Stilmerkmale des 33 wurden gekonnt ins jetzt übersetzt, könnte man sagen. Die Rückleuchten etwa. Die kapselige Fahrgastzelle. Und die tiefliegende Schnauze, die am Asphalt schnüffelt, als gäbe es keine Schwellen auf dieser bösen Welt.
Sympathisch auch, dass ins Lastenheft des 4c zu den sportwagen-stereotypen Eckpunkten wie Leistung, Sportlichkeit, Optik und Prestige auch das Vokabel Erschwinglichkeit geschrieben wurde: ein Endpreis in den Märkten von unter 60.000 Euro wurde vorgegeben (der Österreichpreis wird übrigens bei 54.000 Euro inkl. aller Abgaben liegen). Damit war klar: üppige Sportwagen-Performance würde beim 4c nicht durch üppig Leistung erkauft werden können, weil sowas kostet Geld. Schlauheit war gefragt, konzentriert auf das Thema Reduktion. Damit trifft der 4c nun ziemlich den Geist der Zeit. Leichtbau meets Vierzylinder meets Energieeffizienz sozusagen. Letzteres zumindest relativ betrachtet.
Quattro Cylindri also, daher der Namen. Mit dem 1750 TBI Turbo-Motor wurde bei Schwester Giulietta QV ein Werkstück gefunden, das sich fürs kultiviertes Auffrisieren geradezu anbot. Nach akribischer Beschäftigung mit fast jedem einzelnen Bauteil der Maschine kam man bei 241 PS Nominalleistung und 350 Nm Drehmoment (schon ab 2200 U/min, dank hochintelligenter Scavaging-Technologie, dass das Ventilspiel im niederen Drehzahlbereich optimiert und so mehr Morch herausholt) an, den restlichen Weg zum perfekten Leistungsgewicht beschritt man über größtmögliche Gewichtsreduktion. Carbon und Aluminium wurden zu wesentlichen Bestandteilen des Aufbaus, nicht mal am Gewichtsplus einer Klimaanlage will man bei Alfa selbst Schuld sein, womit der 4c das wohl einzige Sportauto neuerer Bauart darstellt, das serienmäßig ohne Klimaanlage kommt. Im Vergleich zum Concept-Car von 2011 wurde zudem einiges an unnötigem Lametta vom Body weggeschnippst, ein Cw-Wert von 0,33 dankt es den Designern. Das Endergebnis liefert schließlich mit nur 895 Kilogramm Trockengewicht alle Zutaten für einen 100er-Sprint unter 5 Sekunden, das Leistungsgewicht von 3,7 Kilo pro Pferd matcht sich mit Automobilen, die stärker und größer sind. Und nun ist es Zeit für erste Fahreindrücke.
Schon bei der ersten Begegnung wird klar: die Konkurrenten dieses Supersportlers heissen eher KTM X-Bow GT oder Lotus Evora denn Porsche Cayman, Peugeot RCZ, Audi TT oder Nissan 370Z. Fahrwerk, Karosserie, Motor, alles wurde hart am Limit konzipiert, das Machbare ausgereizt. Die Vorderräder (Wechselbereifung, vorne 17, hinten 18 Zoll, oder, optional 18/19) sind am Grat gewandert dick genug, um sich gegen permanentes Untersteuern zu wehren (man kennt derlei von der Elise oder dem vorvergangenen Opel Speedster), das Carbon der Fahrgastzelle gibt sich gänzlich unverpackt. Schalldämmung schließlich wird als komplett unmännlich verklärt. Ausserdem kostet sie – eh schon wissen – Gewicht.
Die Armaturen kommen digital, nicht hübsch, dafür praktisch. Heizung, Lüftung und die allernotwendigsten Taster kennen wir aus der Giulietta, die Sitze sind hart, eng und spartanisch, aber sportlich. Warum man in einem Alfa-Supersportler so ein schwarz lackiertes Trumm von einem Lenkrad (es ist nicht allzu entfernt verwandt mit jenem des Abarth 500) vorfindet, bleibt allerdings unverständlich. Und doppelt frevelhaft insofern, als man bei den aktuellen Airbag-Standards ja nicht einfach so zu MomoDesign gehen und ein diesem Fahrzeug entsprechendes Lenkrad nachkaufen kann.
Auch die Schaltwippen des 6Gang-TCT-Doppelkupplungsgetriebe sind direkt hinten am klobigen Lenker angeflanscht, in Kurven sucht man stets danach, wo’s rauf oder wo’s runtergeht. Das bleibt allerdings das einzig bekrittelnswerte an dieser tollen Schaltbox. Man hat selten ein so schlau agierendes Getriebe getroffen. Sowohl im Automatik-, als auch im manuellen Modus errät das Teil exakt, wie man gerade drauf ist. Will man bolzen, wird in minimal 130 Millisekunden reagiert, ist man gemütlich unterwegs, werden die Gänge durchgeschleinzt. Der etwas große Sprung von der dritten in die vierte tritt einem bei beherzter Gangart witzig ins Kreuz, ist man zu ambitioniert beim Runterschalten, spricht die Elektronik ein laut fiepsendes Machtwort und verhindert so ungutes Hochjodeln des Triebwerkes.
Dass man überhaupt erst auf die Idee käme, das Auto zu überdrehen, liegt am etwas verschobenen Inertialsystem dieses Wagens, was die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Physik im Fahrverhalten betrifft. Man ist praktisch immer zu schnell unterwegs mit dem 4c. Bolzt unversehens dreistellig durchs Ortsgebiet, während man meinte, gerade mal 60 zu fahren. Oder kratzt im weitläufigen Freiland völlig entspannt an der 180 Km/h-Marke, obwohl man vorsorglich nicht mal in die Fünfte schaltete. Da beruhigt es ungemein, das selbst unerwartetste Kurven vom hochvereinfachten, aber besonders an der Hinterachse ausgeklügelten Fahrwerk unerhört anstrengungslos aufgesaugt werden. Auch die servofreie Lenkung macht sich bei erhöhtem Fahrtempo nicht unnötig wichtig dadurch, über jeden Kieselstein einzeln zu informieren. Und die bereits erwähnte Schlankheit der Reifendimension hält dieses Auto schienenartig auf Spur.
Powerslides im klassischen Sinn sind übrigens gestattet, die Elektronik des 4c hält den engagierten Sportfahrer an der langen Leine. Zwar wird in den Modes „All Weather“, „Naturale“ und „Dynamic“ schon eingegriffen, falls es brenzlig wird, aber immer hochdezent und mit Gefühl. Bloß im „Race“-Modus, den es nur beim 4c gibt (das normale DNA findet sich in allen drei Alfa-Modellreihen verbaut) mischt sich die Elektonik überhaupt nicht mehr ein, das ESC beschränkt sich auf Bremseingriff im äußersten Notfall. Man hat dann sozusagen „4c on the rocks“, bis ins letzte geschärft, Kennfeld, Getriebe, alles. Für manche beginnt dann erst der echte Spaß. Und andere sollten diesen Modus gar nicht erst ausprobieren …
Verblüffend gibt sich der Sound des 4c. Und damit ist ganz sicher nicht jener der gemeint, der aus dem DIN-Radioschlitz kommt. Aus den für einen Sportwagen recht unscheinbaren zwei Auspuffern dröhnt, röhrt und brazzelt es wie bei der Formel 1 in der Boxengasse. Und weil der ganze Motor recht exakt hinter den Ohrwascheln der Passagiere hängt, muss man nicht mal groß das Fenster aufmachen, um sich die volle Dröhnung zu geben. Der Turbo pfeift und faucht völlig ohne Genierer, auch das Getriebe schickt sich an, jeden Schaltvorgang selbstbewußt zu kommentieren. Dreht man die Maschine schließlich über die gottvolle 5000-Tourengrenze hinaus, herrscht Monoposto-Feeling, Gänsehaut inklusive, aber von der brutalen, rauhen Sorte, Marke Schleifpapier. Der Alfa 4c ist alles andere als ein Gentleman im Fahrbetrieb. Eher einer von der Sorte räudiger Fleischhauer. Er rülpst und kachazt genussvoll, rotzt schön die Nase hoch und wischt sich nachher mit dem Jackenärmel über die Schnauze. Man verzeiht ihm dies schnell, respektiert ihn darob, wie gut er alles kann, was er können muss. Und verhabert sich gerne, auch stolz mit ihm. Das toleriert der 4c auch gerne, solange man nichts falsch macht im Infight. Dann ist empathisches Verzeihen genauso wenig seine Stärke wie die Reparatur einer Carbon-Fahrgastzelle billig.
Nix mit „pipperli-pupperli“ (© Nina Hagen) also: Entweder, oder. Der Alfa 4c ist halt eine ehrliche Haut. Sowas mögen wir. Und wir könnten uns daran gewöhnen.
Der Alfa Romeo 4c in Zahlen: 1750ccm-Vierzylinder-Turbomotor, 241 PS, 350 Nm (2200-5900 U/min), 895 Kilogramm Trockengewicht. Sprint von 0-100: 4,5 Sekunden. Spitze: 258 km/h.
Österreich-Preis (inkl. alle Abgaben): 54.000 Euro.
Drucken19.09.2013 von Franz J. Sauer