Ferrari FF: Supersportler und Familienkutsche
Montags ins Büro, am Samstag zur Oma oder in die Stadt zum Shoppen und sonntags auf die Rennstrecke – diesen Spagat zu stehen, behaupten viele Hersteller. Doch egal ob Panamera, M5 oder S63 AMG: Kein Sportler im Smoking wird derart unterschiedlichen Anforderung so perfekt gerecht wie ausgerechnet der Ferrari FF.
Der Ferrari FF ist sowohl Supersportler als auch Familienkutsche. Letzteres natürlich nur, wenn man sich zurückhalten kann.
Noch nie war ein leidlicher komfortabler Viersitzer so scharf und sportlich, und noch nie war ein Supersportwagen so familientauglich wie der Shooting Break aus der Feder von Altmeister Pininfarina, der seinen Platz zwischen Kombi und Coupé erst noch finden muss. Ferrari selbst spricht angesichts des 4,91 Meter langen Zweitürers mit der verdächtig vom alten BMW Z3 Coupé inspirierten Silhouette von einem „konsequenten Bruch mit der Vergangenheit.“ Nicht Evolution, sondern Revolution sei das Motto: Denn kein anderes Fahrzeug in dieser Klasse kombiniere ein solches „Maß an extremer Sportlichkeit und hoher Leistung mit unglaublicher Vielseitigkeit, großartigem Komfort und souveräner Eleganz.“
Kurvenbeißer
Dabei nehmen sie den Mund nicht zu voll: Denn natürlich lässt sich der Ferrari fahren wie ein Rennwagen: Obwohl groß und mit seinen 1,8 Tonnen alles andere als leicht, beißt er sich förmlich in die Kurven, hält präzise die Spur und giert nach einem schweren Gasfuß, der ihn vehement nach vorne treibt. Die in Transaxle-Bauweise an der Hinterachse montierte Doppelkupplung prügelt die Gänge schnell und stark ins Getriebe wie die Klitschko-Brüder ihre Fäuste in die Gesichter ihrer Gegner und der auf 6,3 Liter aufgebohrte Zwölfzylinder brüllt sein Lied von der Lust an der Leistung so laut und leidenschaftlich, dass den Passanten noch die Ohren klingen, wenn der Tiefflieger längst wieder aus dem Blick verschwunden ist.
Wie ein Fiat Punto
Präzision, Power und Performance – all das sollte für einen Ferrari so selbstverständlich sein wie das Manettino, jener kleine, rote Schalter am Lenkrad, mit dem man über Motorelektronik, Stabilitätsprogramm und Federung den Charakter des Wagens verstellen kann. Doch was wirklich überraschend ist am FF sind die Leichtigkeit und Eleganz, mit der sich das Kraftpaket bewegen lässt. Denn wen man den Gasfuß nur ein ganz klein bisschen Luft und sich selbst ein wenig Luft zum Atmen gönnt, wird der bitterböse Kampfsportler zum lammfrommen Luxusliner, der sich nicht schwerer fahren lässt als ein Fiat Punto: Fast unwillkürlich winkelt man die dann die Beine ein wenig an, lässt den Sitz weiter nach hinten surren, legt den Arm auf der Türbrüstung ab und greift nur noch mit zwei Fingern ins Lenkrad – selten hat sich ein Auto mit so viel Leistung derart zahm und züchtig benommen wie der Ferrari FF.
Wie eine Mercedes S-Klasse
Wer den Wagen derart gelassen und gemütlich bewegt, der muss seinen Blick nicht stur auf die Straße heften und die Hände fest um das wie direkt aus einem Rennwagen übernommene Lenkrad krallen, das mehr Schalter bietet als eine Mercedes S-Klasse. Dann reicht die Aufmerksamkeit auch für den Rest des Autos. So lässt man die Augen schweifen und sieht mehr Lack und Leder als in mancher Luxuslimousine. Man merkt plötzlich, dass die Sitze nicht nur extrem festen Halt und gute Seitenführung bieten, sondern überraschend bequem sind. Man registriert viel Kopf- und Beinfreiheit und erinnert sich daran, dass sogar das Einsteigen einigermaßen bequem geklappt hat. Man entdeckt immer wieder ein paar neue Funktionen, die man in so einem Auto nicht erwartetet hätte. Einen Gurtbringer zum Beispiel oder die umschaltbare Frontkamera, mit der man trotz der endlos langen Haube um gefährliche Ecken sehen kann. Und irgendwann schaut man sogar einmal zurück und entdeckt, dass im Fond tatsächlich jemand sitzen kann. Zwar sind die beiden Lederschalen ziemlich tief und eng geschnitten, und der Weg nach hinten erfordert eine gewisse Gelenkigkeit. Doch wer erst einmal eingesogen wurde von den Polstern, der findet tatsächlich Platz für Kopf und Knie, hat eigene Cupholder und auf Wunsch sogar Video-Monitore in den Kopfstützen der Vordersitze.
Passabler Kofferraum
Weil unter die große Klappe zudem 450 Liter Gepäck passen und man den Stauraum mit der umklappbaren Rückbank auf 800 Litern erweitern kann, bietet der mehr Alltagsnutzen als etwa ein Porsche 911. Und direkte Konkurrenten wie den Bentley Continental GT oder den Aston Martin Rapide sticht er damit ohnehin aus. Das bringen die Italiener bereits im Namen zum Ausdruck: FF meint nämlich „Ferrari Four“ – also einen buchstäblich flotten Vierer.
Nette Beifahreranzeige
Doch bevor die Wertung in eine falsche Richtung abgleitet, genügt ein Tritt aufs Gaspedal und ein Blick auf die weitgehend digitalisierten Instrumente, um die Welt der Ferraristi wieder zurechtzurücken: Wenn der Drehzahlmesser gen 8000 jagt und der Tacho nach einem kurzen Ampelspurt gefährlich nahe an die 200er-Marke kommt, sind alle Zweifel verflogen. Auch beim Beifahrer. Denn der spürt nicht nur die Beschleunigung, sondern kann alle wichtigen Fahrdaten auf einer eigenen Anzeige über dem Handschuhfach live mitverfolgen.
660 PS, 683 Nm, 3,7 s, 335 km/h
Obwohl die Italiener noch nie so viel Wert auf Variabilität und Alltagstauglichkeit gelegt haben, wie bei diesem Modell, haben sie ihre alten Tugenden nicht vergessen. Im Gegenteil. Der FF ist nicht der geräumigste, sondern auch der stärkste Viersitzer in der Firmengeschichte: Dafür sorgt ein weiterentwickelter V12-Motor mit nun 6,3 Litern Hubraum und 660 PS. Er bringt bis zu 683 Nm auf die Straße und garantiert eine atemberaubende Beschleunigung: 3,7 Sekunden reichen ihm bis Tempo 100, und wer’s wirklich eilig hat, schafft 335 km/h.
Erster Ferrari mit Allradantrieb
Ferrari Four heißt der Wagen allerdings nicht nur wegen seiner vier Sitzplätze. Sondern die Italiener feiern gleich noch eine weitere Technikpremiere und montieren erstmals in einem ihrer Sportwagen einen Allradantrieb. Der ist nicht nur sehr leicht, sondern auch besonders variabel. So raubt er dem Fahrer nicht den Kick in der Kurve, ist aber eine schöne Versicherung, wenn die Grenzen der Physik gefährlich nahe kommen. Und ganz nebenbei macht er den FF nicht nur in der Wüste von Dubai und in Kalifornien, sondern auch in Berlin oder Moskau zum Ganzjahresauto.
Fazit & Preis
Zwar ist der FF für Ferrari ein gewagtes Konzept, und bei einem Preis von mehr als 320.000 Euro muss man seine Familie schon sehr mögen, wenn man den billigeren und trotzdem etwas schärferen F458 Italia stehen lässt. Doch die Rechnung scheint für die Italiener einmal mehr aufzugehen: Wie fast immer bei Ferrari liegt die Lieferzeit mittlerweile bei mehr als einem Jahr. Und mehr noch freut die schnelle Fiat-Tochter die Herkunft ihrer Kunden: Rund 70 Prozent der FF-Käufer haben vorher keinen Ferrari, sondern einen Bentley, Porsche oder Aston Martin gefahren.
Drucken12.04.2012 von Thomas Geiger