Nissan Leaf: Ein ansteckendes Vergnügen
Elektroauto, aber richtig: Autonet unternimmt die erste große Ausfahrt mit dem strombetriebenen Pionier und beantwortet alle Fragen, die Sie schon immer über den elektrischen Gleiter stellen wollten: Wie fährt man unter Strom? Wie weit kommt man? Wie sicher ist man unterwegs? Was sagt das Börserl dazu? Und was der Hausverstand?
Das erste rein auf Elektroantrieb zugeschneiderte Kompaktauto steht am Start. Autonet.at hat den stattlichen Stromer schon jetzt ausgiebig getestet.
Die wichtigsten Basisinfos vorweg: Der Leaf wurde (im Gegensatz zu Mitsubishis i-MIEV) ausschließlich für den elektrischen Betrieb entwickelt und soll sich rasch zum Weltmarktführer aufschwingen; die Einführung beginnt ab Dezember in den USA und Japan, schon Anfang 2011 folgen die ersten europäischen Märkte. Österreich ist Teil der letzten Welle, aus heutiger Sicht treffen die ersten kompakten Stromer im Oktober 2011 bei uns ein. 50.000 Stück will Nissan schon 2011 vom Leaf zu verkaufen, parallel werden weltweit – und damit auch in Europa – neue Fertigungsanlagen gebaut. Damit sollen schon ein Jahr später, also 2012, nicht weniger als eine Viertelmillion Fahrzeuge von den Bändern rollen. Aber woher rührt der Optimismus? Oder anders gefragt: Was ist dran am Nissan Leaf? Nach den ersten längeren Ausfahrten können wir diese und viele andere häufig gestellten Fragen beantworten.
Was macht den Nissan Leaf so besonders?
Der Leaf ist im Gegensatz zu seinen Konkurrenten ein vollwertiges Auto – mit viel Platz, hohem Komfort und einer seriösen Reichweite von rund 160 Kilometern. Und er bietet ein Telematiksystem, das die Reichweite laufend kalkuliert und am Navigationssystem anschaulich darstellt. Außerdem stellt Nissan seit Jahren schon Kooperationen mit einzelnen Staaten oder Körperschaften auf die Beine, um parallel zum Fahrzeug-Launch auch eine vernünftige Infrastruktur an Strom-Tankstellen aufzubauen.
Welche Batterie-Technologie verwendet der Leaf?
Nissan greift auf eine mit Partner NEC gemeinsam entwickelte Form von laminierten Lithium-Ionen-Akkus zurück – ein hochmodernes Konzept. Sie sehen wie Laptops aus und formen gemeinsam ein Batterie-Paket, das in den Wagenboden integriert ist. Das Speichervolumen beträgt 24 kWh.
Wie lange halten die Batterien und was passiert danach?
Obwohl eigentlich unempfindlich für Be- und Entladezyklen reduziert sich die Kapazität des Batteriepakets nach fünf Jahren auf 80% des Ausgangswerts. Halten sollen die Batterien zehn Jahre mit zuletzt 70% Kapazität. Nissan gewährt übrigens auf alle Teile des Elektroantriebs fünf Jahre Garantie (aufs übrige Auto drei Jahre). Am Ende des Batterielebens kann die Batterie außerhalb des Autos weiterverwendet wenden – Nissan hat schon die entsprechenden Partnerfirmen an der Hand.
Wie fährt sich der Leaf?
Zunächst einmal wie ein normales Auto. Eigentlich sogar besser. Denn man braucht nicht zu kuppeln und zu schalten, außerdem wird man nicht vom Motorlärm behelligt. Abgesehen davon bedient man den Leaf wie ein normales Automatikauto. Erstaunlich, wie harmonisch Nissan den Elektroantrieb abgestimmt hat: Die Kraft baut sich ohne Pause oder Ruckeln auf, auch die Bremse lässt sich trotz Bremsenergie-Rückgewinnung sensibel dosieren. Weiteres Entzücken löst der Punch des Motors aus: Dank des Drehmoments von 280 Newtonmeter (ein Wert, den man nur von Dieselmotoren kennt) und einer Leistung von 109 PS sprintet man herzerfrischend los; man wähnt sich sogar flotter, als der Wert von 11,3 s für 0–100 km/h vermuten ließe. Eine direkte Lenkung und ein eher komfortabel abgestimmtes Fahrwerk sind weitere Bausteine fürs ganz normale Fahren, wie man es seit Jahren von Golf & Co gewohnt ist – selbst beim Topspeed, den man bei 140 km/h erreicht. Wir haben’s sogar auf über 150 geschafft, auch da fährt man völlig unaufgeregt.
Wie weit kommt man wirklich?
160 Kilometer ist ein Wert, den man erreichen kann, wenn alles passt. Die Reichweite eines Elektroautos ist aber mehr als jene eines konventionellen Fahrzeugs von zahlreichen Umständen abhängig: Straßenverlauf (Steigungen), Außentemperatur (Klimaanlage!), Geschwindigkeit (Autobahn) und natürlich dem Fahrstil. Treffen viele der negativen Faktoren aufeinander, kann die Reichweite schon auf 70 Kilometer sinken. Ziel von Nissan ist es daher, den Leaf-Fahrer zum Knausern zu erziehen. So kann man im Eco-Mode fahren, in dem das Auto sein Temperament verliert und wirkt, als würde man einen Wohnwagen nachziehen. Im Gegenzug steigt die Reichweite im rund zehn Prozent. Außerdem gibt’s ein kleines Display, in dem Bäumchen wachsen, solange man brav fährt. Und nicht zuletzt wird man seine Verbrauchs-Statistik in der Leaf-Community online stellen und an Bewerben teilnehmen können. Also, unterm Strich: Werte zwischen 100 und 160 Kilometer sind völlig realistisch und ohne Einschränkungen machbar.
Wie Nissan den Leaf für Fußgänger hörbar macht, lesen Sie auf Seite 2.
Wie sicher ist der Leaf?
Die bekannten Risiken von Lithium-Ionen-Batterien sollten mit der neuen Laminier-Methode im Griff sein. Das Batterie-Paket selbst schützt Nissan mit einer eigenen Crash-Struktur am Unterboden (der das Auto steifer macht und auch den Insassen zugute kommt). Crash-Sensoren unterbrechen bei einem Unfall auch sofort sämtliche Stromleitungen. Darüber hinaus sind alle gängigen aktiven und passiven Sicherheitssysteme serienmäßig an Bord: sechs Airbags, ABS, ESP.
Und wie sicher ist der Leaf für Fußgänger, die ihn nicht hören?
Sie hören ihn. Bei Geschwindigkeiten bis 30 km/h sendet der Leaf über einen Lautsprecher im Bereich des Stoßfängers permanent ein leicht pfeifendes Geräusch aus. Auch beim „Starten“ meldet er sich zu Wort, und beim Rückwärtsfahren piepst er wie ein Lkw. Von innen hört man die warnende Soundkulisse kaum, der Innenraum ist zu gut gedämmt.
Wie praktisch ist der Leaf?
So wie jedes andere fünftürige Kompaktauto am Markt, mit einer kleinen Einschränkung. Das Ladegerät, das den Gleichstrom in Wechselstrom umwandelt, befindet sich in einer Art Traverse im Kofferraum – daher entsteht beim Umklappen der Rücksitze eine steile Stufe. Der Laderaum selbst zählt mit 330 Liter zwar nicht zu den größten seiner Klasse, ist aber nicht weit hinter dem Golf (350 Liter) angesiedelt.
Wie funktioniert das Stromtanken?
Vorne auf der Motorhaube, im Bereich des Logos, befindet sich eine kleine Klappe, darunter kommen zwei Anschlüsse zum Vorschein: einmal fürs Schnellladen, einmal fürs normale Laden. Letzteres kann an jeder Steckdose geschehen, das dazu notwendige Kabel führt man im Kofferraum mit. Einmal „volltanken“ dauert acht Stunden. Schnellladestationen wird man in Zukunft öfter finden – etwa bei Einkaufszentren oder bei Autobahnstationen. Damit lässt sich der Leaf in einem halben Stündchen zu 80 Prozent aufladen. Der Haken: Schnellladestationen sind teuer (rund 10.000 Euro), müssen also Teil eines größeren Konzepts sein.
Wie kann eine kommende Infrastruktur aussehen?
Europäische Märkte wie Portugal oder Irland zeigen es vor: Dort entstehen bereits Netze bestehend aus normalen Stromtankstellen und Schnellladestationen. Ende 2011 werden es in beiden Ländern je 1500 Tanksäulen und einige Dutzend Schnellladestationen sein; letztere findet man dann bereits alle 60 Kilometer auf den großen Autobahnen. Getankt wird denkbar einfach: Man bekommt eine Karte und einen Code, damit öffnen sich die Säulen und geben den elektrischen Zapfhahn frei. Gezahlt wird per monatlicher Abrechnung.
Wie viel kostet der Leaf?
Das lässt sich für Österreich noch nicht exakt benennen. Grundsätzlich strebt Nissan einen Kundenpreis von rund 30.000 Euro an, was angesichts der Topausstattung und der Größe durchaus mit einem entsprechenden kompakten Dieselmodell vergleichbar ist. Der Haken: Um auf den Wert zu kommen, rechnet Nissan mit staatlichen Förderungen von 5000 Euro, so wie es sie die Niederlande, Irland oder Portugal gewähren; in Großbritannien sind es sogar 5000 Pfund. Österreich hat sich so wie Deutschland allerdings noch nicht zu einer Förderungspolitik entschlossen, sodass der Leaf eher 35.000 Euro kosten wird; es sei denn, Nissan schluckt einen Teil der Differenz, was noch offen ist.
Was kostet ein Kilometer im Leaf? Seite 3.
Was kostet ein Kilometer?
Da werden nicht nur Tankwarte bleich: 100 Kilometer mit dem Leaf verursachen derzeit Stromkosten von etwas mehr als zwei Euro. Nissan hat’s hochgerechnet: Bei einer jährlichen Laufleistung von 15.000 Kilometer spart man sich gegenüber einem sehr effizienten Dieselauto rund 800 Euro. Außerdem sind die Servicekosten geringer, Nissan spricht von 15 Prozent Ersparnis.
Hat man sonstige Vorteile?
Vieles ist denkbar, manches in einzelnen europäischen Staaten oder Regionen schon umgesetzt: So wird man vereinzelt nur mehr mit emissionsfreien Fahrzeugen in die Innenbereiche der großen Städte einfahren dürfen; auch eigene Parkzonen für Elektroautos sind in Vorbereitung, und in einigen Städten darf man mit E-Autos auf der Busspur fahren. Was davon in Österreich angewendet wird, ist völlig offen.
Wie umweltfreundlich ist der Leaf wirklich?
Das entscheidende Kriterium ist die Gewinnung des Stroms. Österreich steht beim Anteil an erneuerbaren Energien innerhalb der EU an der Spitze, insofern kann man hierzulande reinen Gewissens ein E-Auto bewegen. Etwas anders sieht es bei unseren Nachbarn aus: In Deutschland „emittiert“ der Leaf aufgrund des Anteils an Braunkohlekraftwerken rund 80 Gramm CO2 pro Kilometer – also in etwa so viel wie ein Toyota Prius. Das ist nicht schlecht, aber nicht gut genug für den ganzen Aufwand – mithin ein Ansporn für die Energieversorger, ihren Anteil an Grünstrom schleunigst aufzustocken. Eher nicht sollte man in China mit dem Leaf unterwegs sein. Dort würde er über den Umweg der Stromerzeugung locker rund 200 Gramm CO2 emittieren – so viel wie ein mächtiger Porsche Cayenne.
Ich will einen Leaf, der anders aussieht. Geht das?
Das funktioniert. Der Leaf ist nämlich der erste Vertreter einer ganzen Flotte an Elektrofahrzeugen von Nissan und Allianzpartner Renault, die weitgehend auf der hier vorgestellten Technik basieren. Der Renault Fluence mit Elektroantrieb wird beispielsweise auf das System des Leaf zurückgreifen. Insgesamt kommen in den nächsten Jahren jeweils vier E-Autos von Renault und Nissan, darunter auch kleine Vans. Und wer den Leaf im Premiumkleid fahren will, der muss bis 2012 warten – dann tauscht er seine Kleider und erscheint als erstes Kompaktmodell von Nissan-Edeltochter Infiniti.
Drucken27.10.2010 von Peter Schönlaub